Aus Newsletter vom 26.08.22 von  "foodwatch | Rauna Bindewald" 

Eigene Meinung

Auch im Nachhinein kommt raus, was für eine Lobbyisten unsere Weinkönigin gewesen ist.
Dabei hatte sie geschworen, dem dt. Volke zu dienen und nicht der Großindustrie allein!
 

Foodwatch: Klöckners manipulierte Studie

von wegen Freiheit der Wissenschaft: Ein wirklich dreister Fall aus dem Ernährungsministerium zeigt, wie Politiker:innen wissenschaftliche Studien so zurechtbiegen, dass sie in ihre Agenda passen. Wir deckten den Skandal auf und verklagten das Ernährungsministerium – und konnten nun vor Gericht einen wichtigen Sieg für die Freiheit der Forschung erzielen!

Was genau ist passiert? Es geht um den Kampf um die Lebensmittelampel. Jahrelang wurde erbittert um die transparente Kennzeichnung von Lebensmitteln gestritten. Auf der einen Seite standen Ärzt:innen, medizinische Fachgesellschaften und Verbraucherorganisationen wie foodwatch, die eine verständliche Kennzeichnung von Zucker, Fett & Co. auf der Verpackung forderten. Auf der anderen Seite stand die Lebensmittelindustrie. Die Großkonzerne wollten eine verbraucherfreundliche Lebensmittelampel mit aller Kraft verhindern und hatten bereits eine Milliarde Euro in den Lobbykampf gesteckt [1]. Auf ihrer Seite: Die damalige Bundesernährungsministerin Julia Klöckner. Immer wieder äußerte sie sich kritisch gegen die Einführung der Ampel. 

Als Ministerin gab Klöckner dann selbst eine Studie zur Kennzeichnung von Lebensmitteln in Auftrag. Verschiedene Modelle sollten darin untersucht werden. Im Herbst 2018 lieferte das mit der Studie beauftragte staatliche Max-Rubner-Institut (MRI) die Ergebnisse: Die Wissenschaftler:innen stellten dem Nutri-Score darin ein gutes Zeugnis aus. Kein Wunder – zu diesem Zeitpunkt war wissenschaftlich längst belegt, dass die Kennzeichnung in Ampelfarben Menschen beim Kauf gesünderer Lebensmittel im Supermarkt helfen kann. Die Studie des MRI passte Frau Klöckner offenbar überhaupt nicht in den Kram – sie hielt die Studie deshalb geheim! Stattdessen präsentierte die Ministerin der Öffentlichkeit ein halbes Jahr später, im April 2019, eine manipulierte Version der Studie: Plötzlich schnitt der Nutri-Score nicht mehr so gut ab. 

In einem internen Vermerk, den wir über einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten haben, schrieb ein Mitarbeiter des Ernährungsministeriums im Herbst 2018: 

 
 
 
 
BM'n Klöckner hat in der gestrigen Leitungsklausur ausdrücklich darum gebeten, zu den vorbereitenden Arbeiten des MRI größte Vertraulichkeit sicherzustellen [2].
Mitarbeiter des Ernährungsministeriums im Herbst 2018
 
 
 
Investigativ recherchieren, die Öffentlichkeit über Missstände informieren, juristische Mittel einlegen, über Jahre am Ball bleiben – all das kostet Zeit und Geld. Die Unterstützung unserer Förderer und Förderinnen ermöglicht es uns, ohne Rücksicht auf Verluste für Verbraucherrechte einzutreten: Wir legen uns mit mächtigen Konzernen an und verklagen notfalls auch das Ernährungsministerium. Möchten Sie unsere Arbeit unterstützen?
 
 
 

Im Sommer 2019 reichten wir Klage ein und verlangten die unzensierte Originalfassung der Studie. Mehr als 63.000 Bürger:innen schlossen sich der Forderung an und unterzeichneten unseren Appell. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) knickte schließlich ein und gab die Original-Studie im Januar 2020 heraus. Jetzt hatten wir zwar die Studie – doch damit gaben wir uns nicht zufrieden. Denn uns ging es um Grundsätzliches: Die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland. Schließlich gibt es hierzulande 40 Institutionen, die im Auftrag des Bundes Forschung betreiben. In den kommenden Jahren sind riesige Herausforderungen zu bewältigen, allen voran die Klimakrise und das Artensterben. Die Gesellschaft braucht dringender denn je unabhängige – und nicht politisch genehme – Forschung. Deshalb hielten wir an unserer Klage fest: Das Gericht sollte darüber urteilen, ob das Verhalten des BMEL rechtmäßig war. 

Mit Erfolg: Wir haben die Klage gewonnen! Ende Juli hat uns das Verwaltungsgericht Köln Recht gegeben. Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Die ehemalige Ernährungsministerin Julia Klöckner hätte die Studie nicht geheim halten dürfen. Das Urteil ist außerordentlich bedeutend für die Freiheit der Forschung in Deutschland.

 
 
 
 
Die Vorschrift schützt die Behörde bei der Entscheidungsfindung auch nicht vor politisch unliebsamen Ergebnissen von eingeholten Fachstudien [3].
Zitat aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln
 
 
 
 

Das Urteil stellt klar: Die Bürger:innen haben ein Recht darauf, dass ihnen die mit Steuergeldern finanzierten Studienergebnisse ohne politische Zensur der jeweiligen Regierung zugänglich gemacht werden. Was die Politik später aus den Erkenntnissen macht, ist Teil des politischen Aushandlungsprozesses – die Meinungsbildung muss jedoch unzensiert möglich sein. Das Urteil ist damit ungeheuer wichtig für den demokratischen Diskurs in Deutschland. 

 
 
 
 

Viele Dank für Ihre Unterstützung!

Mit freundlichen Grüßen
Rauna Bindewald, Volljuristin im Kampagnenteam von foodwatch

 
 
 
P.S.: Den Nutriscore findet man inzwischen auf zahlreichen Lebensmitteln im Supermarkt. Der Schachzug von Frau Klöckner konnte die Einführung also letztlich nicht verhindern.
 
 
 

Quellen:
[1] Industrie investierte 1 Milliarde Euro in Kampf gegen die Ampel, 16.06.2022: ht‍tp‍s://‍w‍ww‍.foodwatch.‍or‍g/d‍e/aktuelle-nachrichten/‍2010/industr‍ie-investierte-1-milliarde-eur‍o-in-kampf-gegen-die-ampel/
[2] Interner BMEL-Vermerk zum vertraulichen Umgang mit der Original-Studie, Herbst 2018: ht‍tps‍://‍ww‍w.foodwatch‍.or‍g/file‍admin/-DE‍/Themen/Ampel/Dok‍umente/2019-04_In‍terne_E-Mails_BMEL_geschw‍aerzt.p‍df
[3] Urteil des Verwaltungsgerichts Köln28.07.22: ht‍tp‍s://w‍ww‍.foodwatch.o‍rg/‍fileadm‍in/-DE/Themen/Ampel/Dokumente/Urteil_‍Verwaltungsgericht_Koeln_‍MRI.p‍d‍f