„Habe so ein Tierelend noch nie erlebt“

Artikel von Gabi Werner • 03.03.2023

 

Völlig verwahrlost waren die Hunde und Katzen, die bei der 64-jährigen Warngauerin beschlagnahmt wurden. In einer konzertierten Aktion retteten Tierschützer und Mitarbeiter von Behörden die Tiere.© Tierschutzverein

Beispiellose Rettungsaktion auf Warngauer Hof: „Habe so ein Tierelend noch nie erlebt“

Der Fall macht fassungslos: Jahrelang betrieb eine Warngauerin eine Tierzucht, die in Tierquälerei mündete. Nach der Verurteilung der Frau spricht

Tierschützerin Johanna Ecker-Schotte (61) über die beispiellose Tierrettungsaktion, die dem Prozess vorausging.

Warngau/Rottach-Egern – Es ist ein beispielloser Fall von Tierquälerei: 139 verwahrloste, teils abgemagerte und kranke Hunde und Katzen wurden 2021 von einem Hof im Landkreis Miesbach gerettet. Die Halterin aus Warngau musste sich inzwischen vor dem Amtsgericht Miesbach verantworten und wurde zu einer Haftstrafe von zehn Monaten auf Bewährung und einer Geldauflage in vierstelliger Höhe verurteilt. Zudem wurde ihr ein Haltungsverbot für Hunde und Katzen auferlegt (wir berichteten). Johanna Ecker-Schotte (61), Vorsitzende des Tierschutzvereins Tegernseer Tal, war an den Beschlagnahmungen maßgeblich beteiligt. Im Interview schildert die Rottacherin das Elend der Tiere und sie erklärt, wie jeder von uns dazu beitragen kann, solche Fälle zu verhindern.

Frau Ecker-Schotte, die Zustände auf dem Hof, die bei Gericht geschildert wurden, machen sprachlos. Sie waren selbst vor Ort. Wie haben Sie die Rettungsaktion erlebt?

Johanna Ecker-Schotte: Wir waren insgesamt fünf Mal vor Ort. Schon beim ersten Termin war allen klar: Hier ist Gefahr in Verzug. Die Tiere haben wir dann nach und nach rausgeholt – federführend unter der Leitung des Veterinäramts, des Amts für Sicherheit, Kommunales und Katastrophenschutz sowie der Polizei. Erst einmal waren wir alle nur geschockt vom Ausmaß der Verwahrlosung der Tiere und ihrer Behausungen auf dem Hof. Die Hunde und Katzen waren allesamt in Verschlägen untergebracht.

Würden Sie sagen, das ist ein bis dato beispielloser Fall im Landkreis?

Johanna Ecker-Schotte: Ich persönlich habe so ein Tierelend abseits von illegalen Welpentransporten noch nicht erlebt. Wir haben schon Wohnungen oder Häuser in grenzwertigem Zustand gesehen, in denen auch ein schweres menschliches Schicksal erkennbar war. Aber so eine Menge an Tieren in unerträglichem Zustand gab es hier lange nicht.

Unter anderem war beim Gerichtsverfahren von schimmligem Kot und einem massiven Befall der Tiere mit Flöhen und anderen Parasiten die Rede. Ist man angesichts solcher Zustände sofort handlungsfähig?

Johanna Ecker-Schotte: Ich kann da Gott sei Dank schnell den Gefühlsmodus ausschalten und konsequent handeln. In dem Moment geht es darum, so viele Tiere einzupacken, wie es irgendwie geht. Auch die ekelhaften Zustände sind mir in diesem Moment egal – ich tue es ja für die Tiere.

Wie muss man sich die Rettungsaktion in der Praxis vorstellen?

Johanna Ecker-Schotte: Einen großen Teil der Katzen haben wir mit dem

Kescher einfangen müssen, hier wurde ich von einem Mitarbeiter der Gemeine Gmund super unterstützt. Bei den teilweise sehr großen Hüteschutzhunden wurden wir vor Ort von Fachleuten unterstützt – besonders von Gerd Schuster, der auf die Sicherung von Hunden dieser Größenordnung spezialisiert ist. Sie hatten Schutzanzüge und alles Nötige dabei. Das wurde aber gar nicht gebraucht – die Hunde waren völlig abgemagert und teilweise beinahe apathisch. Sie ließen sich von Gerd Schuster und seinen Helfern unkompliziert in Sicherheit bringen.

Unter den beschlagnahmten Hunden waren auch Muttertiere mit ihren Welpen.

Muttertiere mit Welpen? Das heißt, die Tiere wurden auf dem Hof gezielt gezüchtet?

Johanna Ecker-Schotte: Laut unseren Recherchen haben hier eine gezielte Vermehrung und ein lebhafter Handel mit den Tieren stattgefunden. Es ist deshalb ungemein wichtig, dass die Menschen genau hinschauen, wenn sie ein Tier von einem Händler kaufen.

Jeder von uns kann also dazu beitragen, solche Zustände zu verhindern?

Johanna Ecker-Schotte: Ja. Käufer von Welpen oder Jungtieren sollten immer dann misstrauisch werden, wenn sie das Muttertier und den kompletten Lebensraum der Tiere unter irgendwelchen Vorwänden nicht sehen dürfen. Auch bei Internet-Verkäufen ist extreme Vorsicht geboten. Die Leute lassen sich hier gerne von Bildern einer angeblich liebevollen Aufzucht blenden. Was hier passiert, ist zum Teil aber hochgradig kriminell.

Von den Zuständen auf dem Hof wussten Sie aufgrund anonymer Anzeigen schon länger. Bis Sie wirklich zugreifen konnten, hat es aber gedauert. Wird man da als Tierschützer nicht ungeduldig?

Johanna Ecker-Schotte: Im Vorfeld waren wir tatsächlich etwas ungeduldig. Im Nachhinein muss ich aber sagen: Die akribische Vorbereitung durch die zuständigen Behörden war richtig und wichtig. So ein Zugriff muss ja rechtlich hieb- und stichfest sein. Das war auch für mich persönlich ein Lernprozess. Die Zusammenarbeit mit den Behörden hat hier hervorragend funktioniert.

Die Halterin wurde zu einer Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt. Was halten Sie von dem Urteil?

Johanna Ecker-Schotte: Für mich ist das ein guter erster Schritt. Das Urteil kann richtungsweisend sein für andere Verfahren – immerhin wurde die

Bewährungszeit auf drei Jahre festgelegt. Findet man in dieser Zeit nur eine

Katze oder einen Hund auf diesem Hof, so ist die Halterin fällig. Und sie darf ein

Leben lang keinen Hund und keine Katze mehr halten. Das bedeutet für sie: keine Aufzucht, keinen Handel und keine Betreuung. Besonders als Pächterin eines landwirtschaftlichen Betriebs sollte sie regelmäßig kontrolliert werden.

Was ist eigentlich aus den beschlagnahmten Tieren geworden?

Johanna Ecker-Schotte: Die 139 Tiere wurden auf insgesamt 16 Tierheime verteilt. Es ist einfach super, dass hier unser Landesverband Bayern im Deutschen Tierschutzbund so gut aufgestellt ist und die Verteilung zentral steuern konnte. Alle Tiere haben erst mal durchgecheckt werden müssen – es war ja eigentlich keines der Tiere wirklich gesund. Für die Tierheime sind nach der Übernahme weiterhin noch enorme Kosten für Tierarztbehandlungen und die Unterbringung entstanden. Inzwischen wurden die meisten Katzen und Hunde an neue Besitzer vermittelt – einige haben es aber auch nicht geschafft und sind gestorben. An dieser Stelle ein großer Dank an alle Helfer, die Tierklinik Schliersee, die Tierarzt-Praxen und meine Vorstandskolleginnen – wir sind ein großartiges Team.

Können solche Tiere überhaupt so einfach weitervermittelt werden? Sind die nicht traumatisiert fürs Leben?

Johanna Ecker-Schotte: Sobald sie in einer guten Umgebung sind, erholen sich die meisten Tiere erstaunlich schnell. Für die eröffnet sich ja quasi eine komplett neue Welt: mit ausreichend Wasser und Futter sowie Sicherheit und Zuwendung. Die Tiere fassen dann wieder rasch Vertrauen zum Menschen.