aus Merkur 20.9.23
Elend der Straßenkatzen
Heruntergekommene Katzen sieht man doch nur im Ausland - denken viele. Doch die Not dieser Tiere ist auch hierzulande groß, fast alle sind krank.
Die kleinen Kätzchen sind struppig, sie blicken misstrauisch aus ihrer Transportbox. Kein Wunder, sind sie doch eingefangen und aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen worden.
Ihr Elend lässt sich kaum vermitteln, das ist das Dilemma: Denn im Tierheim Burgdorf bei Hannover, dessen Helferinnen und Helfer nächtelang unterwegs sind, um Straßenkatzen einzufangen, werden sie aufgepäppelt und wirken schnell so, wie kleine Katzen immer wirken: einfach süß.
Aber die Streuner, die auf der Straße leben, sind gebeutelt. Sie hungern, weil sie kaum in der Lage sind, genug für sich zu jagen, sie geben Krankheiten weiter und haben auf ihren Streifzügen oft Unfälle. Verletzt verstecken sie sich, ihre Wunden eitern und sind irgendwann voller Fliegenmaden. Bundesweit gibt es mindestens zwei Millionen Straßenkatzen, fast alle krank und unterernährt, die meisten werden nicht alt, schätzt Lea Schmitz, die Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes.
Wut auf gleichgültige Katzenhalter
„Mittlerweile ist man nur noch wütend“. Anfangs waren wir wegen der hohen Zahlen erschrocken gewesen. „Dann war da nur noch Wut.“ Wut auf gedankenlose oder gleichgültige Katzenhalter, die ihre Tiere unkastriert nach draußen ließen. Denn die Straßenkatzen, das seien meist die Nachkommen dieser sogenannten Freigängerkatzen. Und für deren Wohlergehen „fühlt sich niemand verantwortlich“. Täglich erhält der Tierschutzverein Anrufe von Menschen, die ihre Katzen vermissten - oft seien diese weder kastriert noch registriert und hätten auch keinen Mikrochip mit Kontaktdaten unter der Haut. Das macht fassungslos.
Denn so wächst das Heer der Straßenkatzen unaufhörlich. Etwa in Niedersachsen geht der Landestierschutzverband von mindestens 200.000 Katzen ohne menschliche Betreuung aus – Tendenz steigend. Genaue Zahlen gibt es nicht, die Tiere sind scheu und mieden Menschen. Sie leben im Verborgenen, oft in Industriebrachen, in verlassenen Gebäuden, auf Friedhöfen, Schrebergärten und so weiter.“
Schäden durch freilaufende Katzen
Umweltschützer verweisen auch auf die Schäden, die freilaufende Katzen bei Wildtierpopulationen verursachen können. Betroffen seien nicht nur Vögel, sondern auch Fledermäuse, Siebenschläfer und die Haselmaus oder Reptilien wie die Zauneidechse, so etwa das Thüringer Landesamt für Naturschutz. Die meisten Singvogelpopulationen hätten zwar ausgefeilte Vermeidungsstrategien entwickelt und verkrafteten in der Regel selbst beträchtliche Verluste. Bei geschwächten Populationen könnten Katzen aber unter Umständen zum Erlöschen lokaler Vorkommen beitragen.
Streunende Katzen kennen viele Menschen nur aus dem Ausland. Dass auch hier Katzen unter erbärmlichen Bedingungen auf der Straße lebten, sei vielen unbekannt. Seit drei Jahren arbeiteten wir ehrenamtlich und suchen Pflegestellen für kranke Tiere, begleitet diese zum Tierarzt und nimmt selbst geschwächte Katzen bei sich auf.
Während der Pandemie ein Haustier zugelegt
Tierheime und Tierschutzvereine kommen nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, bei Kastration und Versorgung der Tiere an ihre Grenzen. „In diesem Jahr sind wir alle abgesoffen“, sagt die Vorsitzende der Katzenhilfe Hannover, Frauke Ruhmann. Ein Grund: die Corona-Pandemie und der zweite Lockdown, als sich viele Menschen ein Haustier anschafften, darunter auch Katzen. Viele dieser Tiere seien dann bald auf der Straße gelandet, oft nicht kastriert. Ein Grund dafür: Viele Katzenbesitzer scheuen die gestiegenen Tierarztkosten.
Die Lage sei lange bekannt, aber niemand fühle sich verantwortlich, kritisiert Boczek. „Sie wurden politisch und behördlich im Stich gelassen.“ Das Ergebnis: Fälle wie in Burgdorf, wo das Tierheim an einem Hotspot rund 30 Katzen in schlechtem Zustand einfangen muss, darunter Flitzi und Stöpsel. Zehn Katzen hätten die Helfer bisher erwischt, nicht alle hätten überlebt: „Es ist eine Katastrophe.“ Das Tierheim sei viele Jahre ihr Traumjob gewesen, sagt die 30-Jährige - „jetzt verfolgt mich mein Job im Traum“.
Und doch ist etwas in Bewegung geraten: Eine Initiative der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen im niedersächsischen Landtag will das Wirrwarr der kommunalen Regelungen mit einer landesweiten Katzenschutzverordnung vereinheitlichen. Damit sollen künftig alle Katzen, die sich draußen aufhalten, gekennzeichnet, registriert und kastriert werden. Aber: „Jetzt stockt es wieder“, kritisiert Ruhmann. Ohnehin gebe es bundesweit einen Flickenteppich von Verordnungen - 89 Prozent der Städte und Kreise hätten keine Regelung, sagt Schmitz.
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