Brieftaubensport - Fakten & Folgerungen

Ein Bericht von Harald von Fehr mit Blick auf den (Un)Sinn des Brieftaubensports und die Unvereinbarkeit mit dem Begriff 'Tierschutz'

A Fakten

I. Einführung
Die Nutzung der "Brieftauben" gehört zu den Bereichen, die von Seiten der Tier- und Naturschutz- organisationen zu wenig beachtet wurden und werden. Dabei geht es um Wohl und Wehe von Millionen Tauben allein in Deutschland. In diesem Zusammenhang geht es auch um das Problem der Zuwanderung von gestrandeten Brieftauben in den Städten, wodurch die städtischen Taubenpopulationen vergrößert werden und es zu einer hohen Belastung der Tiere, der Kommunen und der Tierschutzorganisationen kommt.

Schon die allgemeinen Bezeichnungen "Brieftaube" oder "Reisetaube" sind unzutreffend, weil diese Tauben weder Nachrichten überbringen noch freiwillig auf Reisen gehen, sondern als "Sportgeräte" von den Haltern zu Wettflügen eingesetzt werden.

"Brieftaubensport" in Deutschland bedeutet, dass lt. Verband Deutscher Brieftaubenzüchter (2005) 58.000 Züchter in ca.7.000 Vereinen mehrere Millionen Tauben in Verschlägen halten, um sie von Frühjahr bis Sommer im sogenannten "Kabinenexpress" mehrere hundert Kilometer zu bestimmten "Auflass"orten zu transportieren, von wo aus sie zum Flug in den heimatlichen Schlag genötigt werden. Möglich wird dies, weil sie von ihren Partnerinnen oder ihrem Nachwuchs vorher getrennt werden. Die besondere partnerschaftliche Treue und ein erstaunliches Heimfindevermögen der Tauben veranlassen sie zurückzufliegen.

Das Ziel der Züchter ist laut Satzung (2005) des nicht gemeinnützigen Verbandes Deutscher Brieftaubenzüchter "durch Veranstaltungen von Flügen die Qualität der Brieftaube zu verbessern". Tierschutzgesichtspunkte bleiben hier allerdings unerwähnt.

In einer Zeit, in der extrem nach Leistung und Rekorden gestrebt wird, wundert es kaum, dass auch Züchter von den Brieftauben immer größere Leistungen fordern. "Immer weiter, immer schneller", heißt die Devise. Während im Jahr 1800 die Brieftauben 20 bis 30 Kilometer, im Jahr 1830 schon 300 Kilometer weit fliegen mussten, legen sie heute unter optimalen Bedingungen über 1.000 Kilometer mit einer mittleren Fluggeschwindigkeit von 80 km/h zurück.

Diese Leistungen bringen dem Halter Anerkennung, Auszeichnungen, Pokale, Geld-Preise und beim Verkauf der erfolgreichen Taube zur Zucht einen finanziellen Gewinn. Fünfstellige Beträge sind keine Seltenheit. Die Rechnung aber "bezahlen" die Tauben.

Folgende problematische, tierschutzwidrige oder tierethisch fragwürdige Sachverhalte sind zu nennen, wobei die hier aufgeworfenen Sachverhalte darüber hinaus ein EU-weites Problem darstellen. Die Erarbeitung von Lösungsansätzen ist daher auch auf EU-Ebene erforderlich. Auch aus anderen EU-Ländern verfliegen sich in großer Zahl Brieftauben nach Deutschland.

II. Zucht, Selektion und Haltung

Die Zucht erfolgt durch "Selektion" (Auslese durch Tötung) der Nestlinge und Jungtauben, durch Weiterzucht mit "erfolgreichen" Tauben (Zuchtwahl, oft auch Inzucht). Es liegt im Wesen des Brieftaubensports, dass, neben der Selektion der Nestlinge, vor allem in der "Reisesaison" die nicht leistungsfähigen Tauben getötet werden.

Die Selektion ist so rigoros, dass nach 2-3 Jahren nur noch 30 % der Tauben eines Geburtsjahrganges am Leben sind, obwohl Tauben mehr als 25 Jahre alt werden können. Brieftaubenzüchter töten Tauben,

  • welche die geforderte Leistung nicht erbringen, 
    (Anmerkung: Mitunter erhalten "Spätheimkehrer" eine weitere Chance)
  • die nach der Mauser ihr Federkleid nicht richtig erneuern,
  • · die dem Standard nicht entsprechen.

Somit wird schon nach dem Schlüpfen der Tauben "selektiert", dann wieder während der "Reisesaison" und zum Ende der Wettflüge.

Das Töten der ausgesonderten Tauben geschieht ohne vorherige Betäubung, in der Regel mittels Hals langziehen und Kopf umdrehen. Solche Tötungshandlungen sind mit dem Tierschutzrecht unvereinbar (siehe näher unten B).

Für die Haltung von Brieftauben gibt es keine verbindlichen Haltungs-Richtlinien. Es ist davon auszugehen, dass die Haltung teilweise in zu engen Verschlägen ohne ausreichende Bewegungsmöglichkeiten (einschließlich Freiflügen) erfolgt.

Der Status der Brieftaube wird unterschiedlich ausgelegt. Seitens der Züchter werden sie als "Haustiere" dargestellt. Da Brieftauben früher sowohl für den "Sport" als auch für Nahrungszwecke genutzt wurden, versuchte das Ministerium für Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen im Jahr 2002, sie als Masttiere einzustufen und damit den Medikamenten-Einsatz im Brieftauben"sport" gemäß Lebensmittel-Verordnung einzudämmen. Dies wies der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter vehement zurück. ("Die Brieftaube kommt nicht in die Pfanne“, sagen Züchter und kämpfen gegen eine kleine Gesetzesänderung mit großen Folgen" [WAZ 22.02.2002])

III. "Wettflüge"

Eine Taube findet aus beliebigen Richtungen und Entfernungen in ihren Heimatschlag zurück. Setzt man eine erwachsene Taube an einem fremden Ort aus, kehrt sie unverzüglich und ungeachtet aller Strapazen und Gefährdungen in ihren Heimatschlag zurück. Dieser Heimkehrtrieb (= Sehnsucht nach dem eigenen Schlag) und das Heimfindevermögen der Taube wurden schon sehr früh vom Menschen erkannt, genutzt und missbraucht.

Folgende Problembereiche sind zu nennen:
Oft unzureichende Vorbereitung der Tauben auf die "Wettflüge"; keine Verpflichtung für die Züchter, an Trainingsflügen teilzunehmen; fehlendes oder unsachgemäßes Training von Jungtieren; zu wenige Freiflüge (gar keine im Winter).

Organisation und Durchführung der Flüge und deren Folgen sind ein gravierendes Problem. Oft ungenügende Abstimmung zwischen den Kabinenexpressen, Belastungen der Tiere durch Transporte, mangelhafte Koordinierung oder Absprache der Auflasszeiten, Risikoauflässe auch bei schlechtem Wetter und atmosphärischen Störungen, Nichterkennen seitens der Züchter, ob Jungtauben weite Flüge ohne Schaden überstehen können. (Vgl. Dr. med. vet. M. Warzecha, Tauben im Sport -Schutz von Leben und Gesundheit. In: Evangelische Akademie Bad Boll, Tiere im Sport, 2000, S. 187 ff.; Förderverein für tiergerechte Brieftaubenhaltung e.V., www.brieftauben-info.de). Auch die Ausbildung "zertifizierter" Flugleiter hat bisher nicht zu Verbesserungen geführt. (Vgl. auch www.Internet-Taubenschlag.de, Forum "Züchterstammtisch", Beiträge in jeder Reisesaison)

Das Auseinanderreißen der Taubenpaare (sog. Methode der Witwerschaft), die gewaltsame Trennung vom Nest (Nestmethode), wodurch ein psychischer Stress, ein Leidensdruck um einer hohen Flugleistung willen bei den Tieren erzeugt wird. Hierbei handelt es sich um Tiermissbrauch, weil die Treue zu den Partnerinnen und Partnern oder den Nestlingen von den Züchtern ausgenutzt wird, die Tiere also gewissermaßen auf eine Zwangsreise geschickt werden. Das Einkalkulieren und die Inkaufnahme von Verlusten während der Trainings- und Wettflüge. Dass die Tiere überfordert werden, beweisen folgende Zahlen:

Die Verlustraten betragen bei Alttieren 28 %, bei Jungtieren 32 % der aufgelassenen Tiere pro Wettflugsaison (Du und das Tier, 5/93, S. 24). Eine erhebliche Anzahl der Tauben, vor allem Jungtiere, stirbt entweder durch "Verfliegen", durch Greifvögel oder durch Verletzungen an elektrischen Oberleitungen, Antennen usw. oder wird verletzt oder entkräftet sich den Stadttauben an, sind so dem Dauerstress durch Lärm, Abgase und Vertreibung sowie dem Überlebenskampf bei der ständigen Futtersuche oft nicht gewachsen. Trotzdem überlebt ein Teil in den Städten, siedelt sich dort an, wodurch sich die Stadttaubenpopulation vermehrt. ("Stadttauben sind entflogene Haus- oder Rassetauben und ausgebliebene Brieftauben sowie deren Nachkommen." TiHo Forschung fürs Leben. Tierärztliche Hochschule Hannover 1995/96, S. 20)

"Den stärksten Anteil am Zuflug haben heute verirrte und erschöpfte Brieftauben. Dies ist allein schon in der großen Zahl, aber auch der Streuung der verflogenen Tiere begründet." (Arbeitsblätter zum Naturschutz, Nr. 18. Mit Stadttauben leben, S17. Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg 1995)

IV. Verfolgung von Greifvögeln. Illegale Nachstellungen, Fänge und Tötungen von Greifvögeln durch
Brieftaubenhalter

Da Greifvögel eine natürliche Bedrohung für (Brief)Tauben darstellen, werden einzelne Greifvogelarten häufig illegal von
Brieftaubenzüchtern bekämpft. Fachverbände und Institutionen haben sich mit dieser tier- und artenschutzrelevanten
Problematik befasst und festgestellt, dass mittels Fallen, Fangeisen, Fangkörben, Abschuss und Giftködern gegen Greifvögel
vorgegangen wird. (Vgl. Illegaler Vogelfang mit Fallen in Deutschland. Dokumentation des NABU e.V., Bonn o.J.; Berichte
zum Vogelschutz, Nr. 36, 1998, hg. vom Deutschen Rat für Vogelschutz e.V.; Landesumweltamt Brandenburg, Bericht
1999; J. Lippert u.a., Illegale Verfolgung von Greifvögeln und Eulen in Brandenburg und Berlin - Situationsbericht, 2000; R.
Rust/T. Mischler, Auswirkungen legaler und illegaler Verfolgung auf Habichtpopulationen in Südbayern. In:
Ornithologischer Anzeiger, Okt. 2001. ("In einem Urteil hat das Landgericht Marburg bereits 1988 festgestellt, dass die
Taubenzucht ein Hobby ist und die Halter Verluste, die beim Freiflug ihrer Tiere entstehen, hinzunehmen haben. Diese
Entscheidung wurde durch einen Rechtsspruch des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahre 2003 bestätigt [Az
11 UE 4139/99]. Hiernach hat ein Brieftaubenzüchter keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis für den Fang eines
Habichts, auch wenn dieser Brieftauben des Züchters in unmittelbarer Nähe des Taubenschlags schlägt. . Eine Anordnung
zur Verringerung des Bestandes einer geschützten Wildart können nur übergeordnete Interessen des allgemeinen Wohls
notwendig machen. Sie kann nicht der Ausübung eines privaten Hobbys wie der Brieftaubenzucht dienen." [Illegaler
Vogelfang ., a.a.O., S. 7]). Siehe auch: "Düsseldorfer Erklärung gegen illegale Greifvogelverfolgung in NordrheinWestfalen, 24.08.2005." Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz NRW und den Naturschutzverbänden BUND und NABU.

V. Auffinden und Rücknahme von nicht heimgekehrten Tauben

Recherchen des Politischen Arbeitskreises für Tierrechte - PAKT e.V. im Frühjahr 2005 bei 173 Tierschutzorganisationen zum Brieftaubenzuflug bzw. der Abgabe von Fundbrieftauben und der Rücknahme verflogener Brieftauben ergaben, dass kaum 20 % dieser Tauben von den Züchtern wieder zurückgenommen werden. Betroffen sind vor allem Jungtauben des gleichen Jahrgangs, die noch keine Preise gewonnen haben. Zur Frage nach den Gründen der Nichtannahme schreiben die meisten Vereine: "Zu weiter Anfahrtsweg, lohnt nicht", "kein Interesse mehr", "nützen uns nichts mehr", "schicken oder bringen Sie sie, wenn keine Kosten entstehen", "schicken Sie den Ring und verwerten Sie den Rest", "keine Verwendung", "flugunfähige Tauben sollte man töten", "unbrauchbar", "fliegen lassen, wenn wieder hergestellt", "reißen Sie ihr den Kopf ab und werfen Sie sie in den Müll", "Tier taugt nichts und ist wertlos, wenn es nicht alleine zurückfindet", "Suppe davon kochen", "drehen Sie ihr den Hals um oder machen Sie sich davon einen Braten" u. Ä. Manchmal erfolgte von den Züchtern keine Rückmeldung nach Kontaktnahme, z.B. auf dem Anrufbeantworter, oder man wurde unverschämt. Mehrere Finder resignierten und gaben es auf, die Züchter zu benachrichtigen. (Laut Umfrage von PAKT e.V. bei 173 Tierschutzvereinen in Nordrhein-Westfalen und Hessen, 2005) 

Einige Kommentare der Finder: "Das Versorgen sollte den Besitzern in Rechnung gestellt werden." "Mehr Kontrolle der Brieftaubenzüchter." "Dieser tierquälerische ,Sport' muss ein Ende haben!" "Wir leiden mit den Tieren. Es ist oft ein Trauerspiel, zu sehen, wie heruntergekommen, halbverhungert und verdurstet, ggf. auch verletzt die Tiere während bzw. nach ihren Flügen sind. Hier muss sich etwas ändern!" Häufig seien es Jungtauben, die überfordert sind. (Laut Umfrage von PAKT e.V.)

B Rechtliche Bewertung

Die Praxis der sog. Brieftaubenzucht, der "Wettflüge" und ihre Folgen stoßen, wie uns Experten des Tierschutzrechts bestätigen, auf schwerste rechtliche Bedenken.

1. Das Töten der nicht genügend leistungsfähig erscheinenden, ausgesonderten Tauben (siehe oben A II.) ist ein nach dem Tierschutzgesetz strafbares Vergehen: Es gibt keinen "vernünftigen Grund", der die Straftat des § 17 Nr. 1 TierSchG rechtfertigen würde. Das Töten von Wirbeltieren aus "Sportgründen" ist generell verboten. Auch Praktiken der Tierquälerei im Interesse des Sports sind unzulässig. Das ist ausdrücklich anerkannt beim Angelsport des "Catch and Release", das heißt des Fischfangs aus Gründen des Sports mit Zurücksetzen der Tiere nach Dokumentation des Erfolges, da es nicht von einem auf Nahrungsgewinnung zielenden Aneignungsrecht gedeckt ist (vgl. Kluge-Ort-Reckewell, TierSchG § 17 Rn 155, Drossé, AgrarR 2002, 111 ff. mit Rechtsprechung).
Der Brieftaubensport, der Höchstleistungen und Rassestandards von Einzeltieren ihrem gesetzlichen Schutzanspruch überordnet und die Tiertötung damit begründet, ist ungerechtfertigt. Eine Traditionspflege, welche die "Brieftaube" zum bloßen Sportobjekt herabwürdigt, genießt keinen gesetzlichen Schutz. Der Schutz gilt vielmehr dem Tier als Mitgeschöpf (treffend generell zur Traditionspflege Kluge-Ort-Reckewell, TierSchG § 17 Rn 176).

2. Dieser Leitgedanke muss verstärkt zur Geltung kommen, seitdem im Jahre 2002 in Artikel 20a GG der Schutzauftrag für Tiere alle staatliche Gewalt aus Verfassungsgründen in die Pflicht nimmt. Damit wurde "dem ethischen Tierschutz Verfassungsrang verliehen" (so die amtliche Antragsbegründung BT-Dr 14/8860). Die Normen des Tierschutzgesetzes müssen somit durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung mit großer Sorgfalt angewendet werden, um zugleich dem die Tiere schützenden Verfassungsfundament gerecht zu werden. Werden geltende Tierschutznormen, wie dargestellt, bei den weit verbreiteten Praktiken des Brieftaubensports missachtet, dann ist dies zugleich ein schwerwiegender Verfassungs- verstoß.

3. Erschwerend kommt hinzu, dass den Tauben, die zu äußerst belasteten "Sportgeräten" herabgewürdigt werden, vielfach länger anhaltende erhebliche Leiden zugefügt werden. Das steht erneut im Gegensatz zu dem Auftrag des Verfassungsgesetzgebers, der 2002 zur Begründung des Artikels 20a GG betonte: 

"Die Leidens- und Empfindungsfähigkeit insbesondere von höher entwickelten Tieren erfordert ein ethisches Mindestmaß für das menschliche Verhalten. Daraus folgt die Verpflichtung, Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten und ihnen vermeidbare Leiden zu ersparen." (BT-Dr 14/8860, vgl. auch Kluge-von Loeper, TierSchG Einführung Rn 104c). 

Zu "Leiden" im Sinne von §§ 1, 17 Nr. 2 TierSchG zählen alle instinktwidrigen, vom Tier als lebensfeindlich empfundenen Einwirkungen, die in der Zeitspanne nicht ganz unwesentlich fortdauern. Es gehören dazu aber auch Störungen des seelischen Wohlbefindens des Tieres (VGH Mannheim NuR 1994, 488, Kluge-von Loeper, TierSchG § 1 Rn 23, 30 sowie Hirth/Maisack/Moritz, TierSchG § 1 Rn 17).

Das mehrere hundert Kilometer weite Entfernen der Tauben von ihrem Heimatschlag zu den "Auflass"orten entzieht sie ihren Partnerinnen oder ihrem Nachwuchs (oben A I.). Dies fügt den Tauben unweigerlich, auch im Hinblick auf die gewaltige Entfernung und damit verbundene Zeitdauer der "Wettflüge", sowohl seelisch wie auch körperlich länger anhaltende Leiden zu. Das gilt sowohl für die erfolgreich an "Wettflügen" beteiligten Tauben als auch für die im Zeitraum von 2-3 Jahren als "leistungsunfähig" selektierten, getöteten Tauben (bis zu 70 %, vgl. oben A II., III.).

Im Ergebnis machen sich die Brieftaubenzüchter durch solche Folgen ihres Verhaltens eines Vergehens vorsätzlicher Tierquälerei nach § 17 Nr. 2b TierSchG schuldig, weil sie die meist tödlich endende Qual der Tiere wissentlich in Kauf nehmen. Diese Feststellung lässt unberührt, dass es zu einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Tierquälerei nur kommen kann, wenn am Einzeltier konkrete Nachweise erheblicher Leiden zu führen sind.

4. Die aufgeführten Praktiken des Brieftaubensports sind in jedem Falle rechtswidrig, auch aus folgenden Gründen:

a) Sie verstoßen gegen das Verbot der Überanstrengung der Tiere nach § 3 Nr. 1 TierSchG (siehe oben A I. - III.).

b)Sie verstoßen auch gegen das Verbot des Aussetzens von Tieren nach § 3 Nr. 3 TierSchG, denn die "Wettflüge" versetzen die Tauben in eine ihr Leben und Wohlbefinden gefährdende Lage (vgl. Kluge-Ort-Reckewell, TierSchG § 3 Rn 37, von Loeper Die Stadttaube im Recht, S. 20).

Die genannten Rechtsverstöße sind als Ordnungswidrigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 TierSchG nicht allein bei Vorsatz, sondern auch bei pflichtwidrig fahrlässigem Verhalten zu ahnden.

Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass die eingangs (A) geschilderte Praxis des Brieftaubensports aus vielfachen, verfassungsbedingt besonders schwerwiegenden Rechts- gründen unzulässig ist.

Für die praktische Handhabung wesentlich erscheint nur noch Folgendes: Verflogene Tauben sind nicht "herrenlos", auch wenn dies die Brieftaubenzüchter gerne so sehen würden. Selbst wenn diese nämlich das Eigentum an den Tauben aufgeben wollen, ist dies unwirksam, weil das Aussetzen von Tieren, wie dargestellt, gegen das Tierschutzgesetz verstößt und der Eigenwert des Tieres als fühlendes Mitgeschöpf höheren Schutz verdient als
sozialwidrige Vermögensinteressen (vgl. Kluge-von Loeper, TierSchG, Einführung Rn 138 mit Nachweisen). Das bedeutet, dass der Brieftaubenzüchter in solchen Fällen die Betreuungskosten, aber auch Kosten für einen
Rücktransport der Tauben bezahlen muss. Es erscheint wichtig, dies in Gerichtsverfahren deutlich zu machen und durchzusetzen.

C Fazit

I. Forderungen von Tier- und Naturschutzverbänden

Es gibt vielfältige Verstöße gegen geltendes Recht durch den Brieftauben"sport" bzw. durch Brieftaubenzüchter.
Tierschützer fordern daher:

  • artgemäße Haltung der Brieftauben·
  • Offenlegung und behördliche Kontrolle des Brieftauben"sports"·
  • Einhaltung des Tierschutzgesetzes und entsprechende Kontrollen durch die vollziehenden Behörden·
  • Meldung der Zahlen aller gehaltenen, aufgelassenen und nicht zurückgekehrten und getöteten Brieftauben an die Behörden
  • Beteiligung an konstruktiven und tierschutzgerechten Lösungskonzepten für die Stadttaubenpopulation
  • das Verbot des Aussetzens von Haustieren muss auch für Brieftauben gelten

Nachfolgend werden konkrete Maßnahmen zur Veränderung der Situation und Einhaltung des Tierschutzgesetzes
aufgeführt. Die Züchter und deren Organisationen werden aufgefordert, sich umgehend zu folgenden Forderungen zu
bekennen und sie umzusetzen:

Unterbindung jeglicher Tötung ohne vernünftigen, gesetzlich zugelassenen Grund (Leistungs- selektion) sowie
Anerkennung dieser Rechtspflicht durch Vereinsbeschlüsse und Vereinssatzungen der Züchter bei Androhung des
Vereinsausschlusses und der Strafanzeige für den Fall von Verstößen
 

  • Drastische Reduzierung der Nachzucht (durch kontrollierte Ei-Entnahmen)
  • Einrichtung ausreichend großer Volieren (Mindesthöhe 2 m; Besatz von höchstens 4 Tauben pro qm) 
  • Verpflichtung für alle Züchter, sich mit ihren Tauben an Trainingsflügen zu beteiligen
  • Verbesserung der Auflassbedingungen. Auflassen nur bei stabilen Wetterbedingungen
  • Verbot der Witwerschaft- und Nestmethode ("psychologische Motivation") zur Erzielung hoher Flugleistungen
  • Kontrolle jeder zum Auflass vorgesehenen Taube durch einen taubenkundigen Tierarzt wie im Pferdesport
  • Reduzierung der Wettflugstrecken und Verbot von Übersee-Wettflügen
  • Verpflichtung zur Erhebung, Dokumentation und Veröffentlichung der Verlustraten
  • Konsequente Anwendung des Tierschutzgesetzes auch im Fall der Nichtannahme aufgefundener Brieftauben
    (Bußgeldeinzug und im Wiederholungsfall: Ausschluss der betreffenden Züchter aus dem Verband, Entzug des
    Sachkundenachweises)
  • Anerkennung, dass Taubenzüchter für die bei Wettflügen nicht heimgekehrten Tauben alle Betreuungskosten
    einschließlich möglicher Arzt- und Rücktransportkosten an den Tierbetreuer zu zahlen haben
  • Verpflichtung zur Einrichtung von "Gnadenhöfen" durch die Zuchtverbände nach tierschutzgesetzlichen Richtlinien der für den Wettkampf nicht geeigneten Brieftauben


II. Forderungen an die Justiz, an die vollziehenden Behörden und an den Gesetzgeber

  • Straf- und ordnungsrechtliche Verfolgung und Ahndung aller feststellbarer Gesetzesverstöße gemäß der oben unter Bvorgelegten juristischen Bewertung
  • Erlass einer Rechtsverordnung, die nähere Anforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten der "Brieftauben"halter und -züchter sowie an die Pflege und Überwachung der Tiere gemäß § 2a TierSchG festlegt und auch die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu einer notfalls gebotenen Tötung geb. § 4 b TierSchG präzisiert
  • Schaffung eines Sachkundenachweises für die Züchter und Auflass-Leiter mit vorangehender Schulung und
    Prüfnachweis im Rahmen der erwähnten Rechtsverordnung oder durch Änderung des Tierschutzgesetzes
  • Regelung und Kontrolle des "Brieftaubensports" auf EU-Ebene nach den aufgeführten Kriterien
  • Die Brieftauben sind seitens des Gesetzgebers als Haustiere anzuerkennen und entsprechend gesetzlich zu schützen

Die nachstehenden Organisationen lassen sich bei der dargestellten Bewertung des sogenannten Brieftauben"sports" von der Staatsaufgabe Tierschutz nach Artikel 20a Grundgesetz und von den einschlägigen Normen des Tierschutzgesetzes leiten, die ein ethisches Mindestmaß für den menschlichen Umgang mit Tieren erfordern. Sie sehen sich dabei inspiriert von der "Berliner Erklärung zu den grundlegenden Rechten der Tiere", wonach Haltung, Zucht und Tötung von Tieren zum Zwecke der Befriedigung menschlicher Prestige- oder Luxusbedürfnisse, also auch für "sportliche" Nutzung, zu verbieten sind.
August 2006

Autoren:
Edgar Guhde, Wilfrid Jores (PAKT e.V.); Elisabeth Heß (BAG Stadttauben); Dr. Eisenhart von Loeper, Stephanie Elsner
(Menschen für Tierrechte - BV der Tierversuchsgegner); Horst Meister (BUND-NRW); Gudrun Fröhlich (Bürgerinitiative
Freilebende Stadttiere Düsseldorf); Wencke Griesing (Tierfreunde Siegen)