aus Bayr. Landwirtschaftlichen Wochenblatt vom 15.12.22

Mutter gebundene Kälberaufzucht - flexibel aus Überzeugung

Die Milchbar ist eröffnet: Nach der Versorgung des eigenen Kalbes, Herriert, lässt die Braunviehkuh Jule auch die anderen Kälber in der sogenannten Mutter-Kind-Gruppe am Gropperhof an ihrem Euter saufen.

Familie Gropper setzt seit einigen Jahren auf muttergebundene Kälberaufzucht. Ein starres System gibt es dabei nicht und auch Rückschläge sind drin. Doch die Sache an sich ist gut. Darum will man bereits gesammelte Erfahrungen teilen.

Der Milchviehbetrieb der Familie Gropper ist einer wie viele andere in Schwaben . Und doch schlägt man dort seit einigen Jahren ein neues Kapitel auf und geht andere Wege, als sie landläufig üblich sind. Im System der muttergebundenen Kälberaufzucht geht man jetzt voll auf, ist mittlerweile zum Überzeugungstäter geworden und teilt die eigenen Erfahrungen – gut wie schlecht – auf Instagram. 

 

Nach dem Motto „Probieren geht über Studieren“ sind Barbara und ihr Mann Michael mit den Kindern Franziska und Leonhard, die ebenfalls fleißig im Stall und drumherum mithelfen, vor knapp fünf Jahren in diese eigentlich ursprüngliche und doch so moderne Form der Kälberaufzucht eingestiegen. „Eines steht für mich ganz klar fest, nämlich dass wir die Rinderhaltung auch weiterhin zur Nutzung des Grünlandes in unseren Breiten brauchen. Sie ist auch in Zukunft unverzichtbar. Aber die muttergebundene Kälberaufzucht ist ein weiteres, nachhaltiges Argument dafür, sie auch künftig gut nach Außen in der Bevölkerung darzustellen. Denn die Menschen machen sich immer mehr Gedanken über die Tierhaltung allgemein“, erklärt Barbara Gropper ihre Beweggründe für die Umstellung.

 

Schlüsselerlebnis als junge Mama

Sie erinnert sich an ihr ganz persönliches Schlüsselerlebnis: Denn als sie selbst als junge Mama einmal vor dem Fenster des Stallbüros beim Stillen saß und hinunter auf die Abkalbebucht blickte, wo sich eine Kuh gerade herzergreifend um ihr Neugeborenes kümmerte, ging der Vollblutlandwirtin der Gedanke an den bevorstehenden, augenscheinlich unvermeidlichen Trennungsschmerz für die Tiere durch Mark und Bein.„Es wollte mir einfach nicht einleuchten, dass man hier im System nichts ändern kann“, sagt sie rückblickend und gibt schon zu, dass wahrscheinlich Frauen für dieses Thema allgemein sensiblere Antennen haben, als Männer. „Aber es kann mir kein Landwirt sagen, dass ihm diese Arbeit, das Trennen von Kuh und Kalb, Spaß macht“, sagt sie überzeugt.

 

Bioland-Berater bringt den Stein ins Rollen

 

Bis man schließlich am Gropper-Hof etwas änderte, gingen jedoch noch einige Jahre ins Land. Schon beim Bau vor 17 Jahren wurden im Milchviehstall zwei geräumige Abkalbebuchten eingeplant. Zudem verlegte man dort auch eine Luftleitung, damit man auch in der Abkalbebucht melken kann. 2018 stellte die Familie den Milchviehbetrieb auf Bio um. „Den Stein endgültig ins Rollen brachte unser Bioland-Berater Dieter Sixt, der mir eine Stunde lang am Telefon über das System der muttergebunden Kälberaufzucht vorschwärmte und Anfang Mai auch zu einem Ortstermin auf unserem Betrieb war. Tags drauf kalbte dann die nächste Kuh und wir haben es einfach probiert Kuh und Kalb beieinander zu lassen“, berichtet die aufgeschlossene Bäuerin. Sie erinnert sich, dass das damals eine schon etwas ältere Kuh war, die bereits vier Kälber hatte. 

Familie Gropper hat sich dann viel im Internet informiert, dort nach YouTube-Videos zur Thematik gestöbert, Vorträge angehört und auch Betriebe besichtigt, die sich mit der muttergebundenen Kälberhaltung bereits auseinandersetzen bzw. diese bereits umsetzen. „Viele Infos zum Thema gab's zwar hierzulande noch nicht wirklich. Aber wir haben uns schon zurechtgefunden. Und starr nach Schema F funktioniert es ohnehin nicht, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Denn jeder Betrieb ist anders, jeder Betriebsleiter ist anders, und ja, sogar bei jeder Kuh kann es etwas anders laufen“, wie Barbara Gropper deutlich macht.

 

Beweglichkeit ist der Knackpunkt

„Beweglich bleiben“ ist also für Familie Gropper der Knackpunkt auf ihrem Milchviehbetrieb. Und eigentlich habe es letztlich mit jeder Kuh funktioniert – wenn auch nicht gleich auf Anhieb. „Manche brauchen eben etwas länger, sind vielleicht etwas traumatisiert von der Geburt oder schlichtweg mit der neuen Situation überfordert. Aber wirklich abgestoßen hat bislang kein Muttertier ihr Junges“, wie Tochter Franziska, die sich ebenfalls sehr mit dem Verfahren beschäftigt, berichtet. Sie lässt sich einfach zu ihrer Lieblingskuh Jule, einer Braunviehkuh mit guten vier Jahren, ins Stroh nieder und verteilt Streicheleinheiten. Auch das gehört für Groppers zu einer guten Mensch-Tier-Beziehung. Jule war eines der ersten Tiere, das „muttergebunden“ aufgewachsen ist.

 

Die Bindungsphase ist entscheidend

Die Bindungsphase sei das Entscheidende, damit das System in der Herde funktioniert und damit die Kuh ihr Kalb in der Gruppe bevorzugt, erzählt sie weiter. Als Kuh Jule etwas später vom Fressgitter zurück in die Abkalbebox kommt, sieht man ganz genau, was damit gemeint ist. Denn zu Jule gehört das dunkle Weißblaue-Belgier-Kälbchen Herriet. Sie nimmt sofort gezielt Kontakt zu ihrem Jungtier auf und animiert es zum Saufen. Das ist gerade dann entscheidend, wenn das Kalb noch sehr klein ist und sich selbst noch nicht so gut durchsetzen kann. 

Die anderen Kälber, die auch vereinzelt Versuche starten, an Jules Euter zu kommen, werden vehement von der Kuh abgewiesen – zunächst, denn als das Begier-Kalb gut „erstversorgt“ scheint, tummeln sich plötzlich drei Kälber um Jules Euter. Die Milchbar scheint nun für alle eröffnet. Betriebsleiterin Barbara und Tochter Franziska strahlen. „Schön, wenn es so gut läuft“, sind sich beide einig. Die erfahrene Kuhmama lässt all das geduldig über sich ergehen, eh sich wieder alle satt und zufrieden in die Einstreu fallen lassen.

 

Durch Tierbeobachtung auf Nummer sicher gehen

 

„Für den Landwirt fällt zwar viel Arbeit für die Tränkezubereitung und das Reinigen der Eimer weg. Allerdings ist eine gute Tierbeobachtung das A und O bei der muttergebundenen Kälberaufzucht“, sind sich Mutter und Tochter weiter einig. Gerade auch bei der Biestmilchversorgung ist das genaue Hinschauen wichtig, denn hier will und muss man unbedingt auf der sicheren Seite sein. „Man nimmt als grobe Faustregel an, dass ein Kalb einen Liter pro Minute säuft. Etwa drei Liter von der ersten Mahlzeit sollten es da schon sein. Auch wenn das Kalb jederzeit wieder ans Euter kann. Aber zur Kontrolle nehmen wir dann schonmal die Stoppuhr in die Hand“, erklärt Barbara Gropper. Und wenn man das Kalb einmal in den ersten 24 Stunden saufen sieht, dann habe es ohnehin meistens den Dreh raus. Manchmal braucht es auch einfach noch etwas Erholung nach der Geburt. „Doch wenn man es dann mit einem richtig schönen Milchbart unter der Mutter sieht, sind alle zufrieden“, sagt die Erlebnisbäuerin.

 

Mehr auf die Natur vertrauen

Natürlich gebe es auch Rückschläge. Ein Kalb habe sich am Anfang beispielsweise mal das Bein gebrochen. Doch selbst das habe man durchbekommen. Auch für die Kühe kann es Blessuren am Euter geben, dass will Familie Gropper gar nicht beschönigen. „Man muss allgemein auch mal wieder mehr auf die Natur vertrauen. Die muttergebundene Kälberaufzucht ist ein Schritt näher zu ihr zurück“, ist die Biobäuerin überzeugt. 

Einmal im Jahr lässt man von TGD bei jeder Kuh Viertelgemelksproben nehmen, um einen Überblick über die Eutergesundheit zu haben. Natürlich gehe auch die Zellzahl in der Herde nach oben. Aber auch die pendele sich wieder ein, wie Groppers meinen. Der Betrieb liefert seine Milch an die Molkerei Almi in Kimratshofen. Auch die abgelieferte Milch wird ohne Zweifel auf dem Papier weniger – mit 1000 l im Jahr beziffert es das LKV Bayern.

 

In Bayern fehlt noch das passende Label

„Nur leider gibt es in Bayern noch keine Marktnische für Milch aus Betrieben mit muttergebundener Kälberaufzucht“, sagt die Betriebsleiterin und verweist auf das Label „Zeit zu Zweit“ aus dem Norden Deutschlands. Hier werde und sollte sich in den kommenden Jahren noch einiges tun, ist man überzeugt. Indes freut man sich über den einen oder anderen Kunden am Hof, der bereits gezielt diese Milch mit speziellem Haltungs-Background nachfragt und kauft. Das gibt auch Familie Gropper ein gutes Gefühl.

 

Der Stallbereich für die Kuhmamas mit ihrem Kindergarten wird derzeit um einen (8 m x 14 m) großen Auslauf erweitert. „Das wird uns dann wieder vor neue Herausforderungen stellen. Aber in diesem System lernt man einfach nie aus“, zieht Barbara Gropper Bilanz.

 

So funktioniert's am Gropper-Hof:

  • Nach dem Abkalben bleiben Mutter und Kalb drei Tage gesondert in einer Box zum Bindungsaufbau (mit Sicht- und Berührungskontakt zur Herde bzw. zur Mutter-Kind-Gruppe).
 
  • Wenn man sieht, dass die Kuh zu viel Milch hat, wird sie gemolken. Dies ist aber sehr selten. Erfahrungsgemäß kommt es dadurch weniger zu Milchfieber.
 
  • Nach drei Tagen kommen alle in der sogenannten Mutter-Kind-Gruppe zusammen.
 
  • Meist kommt die Kuh, die bereits am längsten gekalbt hat, dann aus der Gruppe raus. Diese war vorher schon einige Male für einige Stunden bis ganze Tage bei der Milchherde um eine schleichende Trennung einzuleiten.
 
  • Das Verhältnis von Kühen und Kälbern sollte so angepasst werden, dass die Milchleistung (laut LKV-Bericht) für die Versorgung der Kälber gut ausreicht.
 
  • Ein ständig möglicher Sicht- und Berührungskontakt zwischen Kühen und Kälbern ist entscheidend. Wenn die Kühe wissen, dass sie jederzeit wieder in die Mutter-Kalb-Gruppe gelassen werden, gibt es eigentlich keinen Trennungsschmerz. Denn sie sieht, dass es dem Kalb gut geht und schreit dann auch nicht.
 
  • Den Kälbern scheint es fast egal zu sein, welches Euter welcher Kuh gehört. Was in der Nähe ist, wird probiert. Im Gegenteil. Eine neue Milchbar ist immer interessant, denn sie könnte ja besser schmecken.
 
  • Die Kälber lernen vom ersten Tag an das Fressen und Saufen von den Kühen.
 
  • Nach drei Monaten in der Mutter-Kind-Gruppe wird das Kalb für ein paar Stunden in den Kälberstall geschickt.
 
  • Nach fünf bis sechs Tagen hin und her bleiben die Kälber ohne Brüllen im Kälberstall.